Forderungskatalog zur Reform der Eingliederungshilfe und des neuen Bundesteilhabegesetzes zur selbstbestimmten Lebensführung und Teilhabe im zweiten Leben nach erworbener Hirnschädigung (SHV)

Forderungskatalog zur Reform der #Eingliederungshilfe# und des neuen Bundesteilhabegesetzes zur selbstbestimmten Lebensführung und #Teilhabe# im zweiten Leben nach erworbener Hirnschädigung (SHV)

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8. Nachsorgekongress der Arbeitsgemeinschaft Teilhabe, Rehabilitation,
Nachsorge und Integration nach Schädelhirnverletzung

Teilhabe im zweiten Leben nach Schädelhirnverletzung
Teil 2: Selbstständige und selbstbestimmte Lebensführung


Präambel

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des 8. Nachsorgekongresses fordern von Bund und Ländern die zügige Verabschiedung und Inkraftsetzung eines neuen Bundesteilhabegesetzes in der laufenden Legislaturperiode.

Menschen mit erworbener Hirnschädigung (MeH) sind behindert im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention. Zu den Menschen mit Behinderungen zählen Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können. Eine erworbene Gehirnschädigung führt vor allem zu Beeinträchtigungen der geistigen (kognitiven), organisch-psychischen und psychosozialen Funktionen und Anpassungsleistungen und geht häufig einher mit körperlichen und Sinnesbehinderungen, die oft nicht primär sichtbar sind und oft (auch vom Betroffenen) verdrängt sowie im medizinischen System übersehen oder fehlgedeutet werden.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des 8. Nachsorgekongresses und die AG Teilhabe, Rehabilitation, Nachsorge und Integration nach Schädelhirnverletzung fordern den Gesetzgeber auf, bei der Fassung des Behinderungsbegriffes diese Besonderheiten ausdrücklich einzubeziehen und die Teilhabe und Inklusion von Menschen mit erworbenen Hirnschäden in der Gesetzesentwicklung zu berücksichtigen.

Zudem bietet die aktuelle Pflegereform die Chance, Menschen mit erworbenen Hirnschädigungen auch besser über die Leistungen der Pflegereform abzusichern und deren Bedarfe an Beratung und persönlicher Betreuung sachgerechter über den Pflegebedürftigkeitsbegriff zu erfassen.

Die Arbeitsgemeinschaft Teilhabe, Rehabilitation, Nachsorge und Integration nach Schädelhirnverletzung als Interessenvertreterin der Betroffenen fordert im Detail:

  • Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention beschleunigen

  • Behinderungsbegriff im SGB neu definieren analog zu Artikel 1 der
    UN-Behindertenrechtskonvention

  • Im geplanten Bundesteilhabegesetz und in den ergänzenden Verordnungen und Ausführungsbestimmungen die komplexen Folgen erworbener Hirnschädigung ausdrücklich aufführen als Form der „wesentlichen Behinderung“: Denn erworbene Hirnschädigungen bedingen komplexe Mehrfachstörungen körperlicher, geistiger, seelischer Funktionen und Sinneswahrnehmungen und Beeinträchtigungen von Aktivitäten und im Wechselspiel mit der Umwelt teils erhebliche Behinderungen der Lebensführung, Teilhabe und Inklusion.

  • Regelmäßige Beteiligung der Arbeitsgemeinschaft Teilhabe, Rehabilitation, Nachsorge und Integration nach Schädelhirnverletzung als Interessenvertreterin der Betroffenen bei der Weiterentwicklung des Teilhaberechtes (vergleichbare Beteiligung, wie die BAGSO im SGB XI)

  • eine am Bedarf orientierte, ausreichend lange und ausreichend intensive sowie zielorientierte Durchführung von Interventionen zur Heilung, Kompensation, Anpassung und Vermeidung von Verschlimmerung,

  • zügige Umsetzung der #BAR#-Empfehlungen und der #DVfR#-Forderungen zur Reha-#Phase E# in der #Neurologie#

  • Angebote der Eingliederungshilfe für MeH müssen in ihre Qualitätsstandards „Neurokompetenz“ aufnehmen, bei der Qualitätssicherung und der Finanzierung berücksichtigen

  • frühzeitige individuelle Teilhabeplanung zu den wesentlichen Teilhabebereichen des einzelnen MeH zum Ende der ersten Rehabilitationsphase in Hinblick auf die Gestaltung der Phase E und die Eingliederung

  • Teilhabeplanung unter Beteiligung der Betroffenen, der Angehörigen oder Vertrauenspersonen (Wunsch und Wahlrecht und damit auch Kompetenz des betroffenen individuellen Lebenssystems (Familie) beachten)

  • Leistungsträger #unabhängige Beratung# als Leistung definieren (Sozialleistungsträger, private Versicherungen, Beihilfe etc.)
  • individuelle, rechtzeitige und bedarfsgerechte Festlegung des teilhabeorientierten Leistungsbedarfes in allen neurologischen Rehaphasen unter Einschluss der nachgehenden Leistungen (RehaPhase E) im Sinne der Nachsorge bei MeH

  • wiederholte Bedarfsfeststellung im Verlauf (z. B. wie in der Onkologie in festen Intervallen)

  • offener Leistungskatalog für alle Bereiche der sozialen Teilhabe entsprechend der medizinischen UND sozialen Bedarfe IM Leben und Lebensumfeld des einzelnen MeH („ambulant vor stationär“, komplexe Leistungserbringung „wie aus einer Hand“)

  • Anpassung der Leistungskomplexkataloge der verschiedenen SGBs auf die Bedürfnisse der MeH und ggf. Umsetzung in ergänzenden Rahmenvereinbarungen (u. a. nach SGB XI, XII)

  • Individuelle Beratungsbudgets sowie Refinanzierung von technischen Assistenzsystemen und Wohnraum-verbessernden Maßnahmen, die MeH ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen und damit helfen, stationäre Pflege zu vermeiden

  • Bereitstellung spezieller Leistungen (neurokompetent und interdisziplinär) in der Eingliederungshilfe einschl. Übergangswohnen, individuelle Fallbegleitung (Case Management) und Nutzung von trägerübergreifenden Budgets sowie entsprechend angepasste Angebote in den Werkstätten für behinderte Menschen (angepasste berufliche Bildung, Außenarbeitsplätze, Budget für Arbeit, Tagesstruktur...) sowie den tagesstrukturierenden Angeboten

  • gesetzliche Verankerung der fachgerechten Anleitung, Begleitung und Coaching von Betroffenen, Bezugspersonen, Assistenten und Fachdiensten als Leistung

  • Förderung der Leistungserbringung in der Eingliederungshilfe in Form eines sozialversicherungs- und trägerübergreifenden Persönlichen Budgets

  • Sicherstellung der regionalen Verfügbarkeit der personenzentrierten Teilhabeleistungen und Assistenzen

  • vermögensunabhängige Finanzierung von wesentlichen Leistungen der Eingliederungshilfe wie z. B. Beratung, Teilhabeplanung, Bedarfsfeststellung und Fallbegleitung, z.B. auch durch die Gewährung von ggf. partiellen Beratungsbudgets über die Pflegeversicherung und die Rehaträger nach dem IX Buch

  • Geldleistung zum Nachteilsausgleich

  • Bundeseinheitliches und transparentes Verfahren der Bedarfsfeststellung

  • Ein verantwortlicher (federführender oder zumindest beauftragter) Träger für die gesamte Bedarfsfeststellung und Umsetzung des Teilhabeplanes (ggf. #Kostenträger# übergreifende Finanzierungsmodelle); Fristenregelungen und Zuständigkeitsklärungen müssen auch mit Sanktionen durchgesetzt werden können


Verabschiedet im Plenum des 8. NSK am 28.03.2014 in Berlin
fdR, Achim Ebert, Sprecher der AG Teilhabe
fdR, Karl O. Mackenbach, stellv. Sprecher der AG Teilhabe