"Ich bin zwar auf den Kopf gefallen, aber nicht blöd...!"
Auch auf dem diesjährigen 12. Nachsorgekongress wurden wieder interessante Interviews mit Betroffenen geführt.
Junge Erwachsene, die im Kindesalter ein schweres #Schädelhirntrauma# erlitten haben, berichten hier über ihre Erlebnisse.
Valentin Decher, Stefanie Kampe und Meike Wachendörfer erlitten im Kindesalter ein schweres Schädelhirntrauma.
Die drei Betroffenen haben sich für die Interviewrunde zur Verfügung gestellt. Der Radiomoderator Martin Winkelheide ging souverän und einfühlsam auf die drei Betroffenen ein.
Stefanie Kampe, 40 Jahre, hatte im Alter von sieben Jahre einen schweren Reitunfall. Sie lag zwei Wochen im #Koma#. Sie war halbseitig gelähmt und konnte nicht sprechen.
Sie hat noch "Erinnerungsfetzen" an diesen schweren Unfall, wie sie erzählt, ist sich aber nicht sicher, ob diese Erinnerungen alle der Realität entsprechen. An was sie sich aber noch genau erinnern kann ist: sie wurde im Krankenhaus immer von ihren Eltern besucht. Und das war ihr sehr wichtig.
Nach dem Krankenhaus-Aufenthalt musste Stefanie Kampe eine Reha besuchen. Nach ihrem Reha Aufenthalt hat sie die erste Klasse wiederholt. Aber die Lehrerin in der Schule war mit der Situation total überfordert. Die junge Frau erinnert sich daran, dass ihr die Lehrerin einmal ein Buch auf den Kopf gehauen hat. Die Lehrerin sagte damals zu Stefanie Kampes Eltern, wenn es nach ihr ginge, müsste Stefanie auf eine Sonderschule wechseln. Was aber für die Eltern von Stefanie überhaupt nicht in Frage kam.
Stefanie Kampe: "Es war eine schwierige Schulzeit für mich. Ich musste viel lernen und habe viel Nachhilfeunterricht benötigt." Auch ihre Mitschülerinnen haben oft auf ihr "rumgehackt". Später als Jugendliche hat sie dann einen Freund kennengelernt, dessen Vater bei der Arbeitsagentur beschäftigt war. Und er hat dann den Wechsel auf eine fachbezogene Realschule vorgeschlagen. Stefanie Kampe: "Mein damaliger Freund hat mit sehr viel Unterstützung gegeben und sehr viel mit mir gelernt..."
Stefanie Kampe hat erfolgreich eine Ausbildung als Zahnarzthelferin absolviert. Am Anfang hatte sie ihren Chefs und ihren Kollegen von dem Schädelhirntrauma erzählt. "Später aber nicht mehr, da ich wollte, dass die Leute mich so nehmen wie ich heute bin!"
Valentin Decher, hatte sich mit 14 Jahren auf Inline Skates an einer S-Bahn festgehalten und sich von der S-Bahn mitziehen lassen. Er ist in die Gleise abgestürzt und schwer verunglückt. Er fiel ins Koma. An die Details seines Krankenhaus-Aufenthaltes kann er sich nicht erinnern. Er weiß nur noch, wie er auf der Intensivstation aus dem Koma aufgewacht ist, dass er von der Krankenschwester einen Tee bekommen hat und sich sofort übergeben musste.
Im Gegensatz zu Stefanie Kampe war "seine Geschichte" auf der Schule "nie richtig ein Thema". Er wurde auf der Schule von seinen Mitschülern nicht gehänselt.
Valentin Decher "hat sich entwickelt", wie er erzählt, er besuchte ein berufsbezogenes Gymnasium und arbeitet jetzt als Fachkraft für Veranstaltungstechnik im Betrieb seiner Eltern. Zurzeit besucht er eine Fortbildungsmaßnahme mit dem Ziel, künftig auch junge Menschen ausbilden zu können.
Meike Wachendörfer, 41 Jahre, hatte im Alter von dreizehn Jahren einen schweren Verkehrsunfall. Sie wurde auf ihrem Roller von einem Auto mit 60 km Stundengeschwindigkeit angefahren. Sie lag zwei bis drei Monate im Koma.
Die Ärzte sagten damals zu den Eltern von Meike, dass sie wohl ihr Leben lang im Rollstuhl verbringen müsse. Aber Meike hat in ihrem jungen Leben "viel gekämpft", wie sie erzählt und hat es auch tatsächlich geschafft: In der Rehaklinik in Bremen hat sie wieder laufen gelernt und ist auf keinen Rollstuhl angewiesen.
Meike wollte wieder in ihre alte Klasse zurück, was aber trotz intensiver Bemühungen, nicht geklappt hat. "Das hat mir sehr wehgetan", erzählt sie.
Meike hat gelernt, gelernt und gelernt. Aber, bedingt durch den schweren Unfall, war am nächsten Tag das Gelernte "einfach wieder weg". "So, als hätte jemand den Stecker gezogen ...".
Meike Wachendörfer: "Ich bin zwar bei dem Unfall auf den Kopf gefallen, aber nicht blöd"
Bei ihrem zweiten Rehaufenthalt besuchte sie eine Realschule (Reha mit Internat). "Zuerst wollte ich Medizin studieren...", aber ich habe gemerkt, "dass ich das Abitur nicht schaffe". "Im Jahr 2000 habe ich dann ein Studium begonnen und jetzt arbeitete ich als Diplom Sozialpädagogin in einer ersten Klasse einer Grundschule..." Und das macht ihr großen Spaß. "Ich kann mich in die Kinder hineinversetzen".
Und welche Unterstützung hatten die drei Betroffenen?
Meike Wachendörfer: "Für mich war es ganz wichtig, dass immer meine Familie und Freunde für mich da waren. Die Reha war für mich als Kind zwar eine furchtbare Zeit, da ich von daheim weg war, aber ich wurde in der Schule intensiv gefördert"
Valentin Decher: "Mich hat besonders die Familie und auch meine Freunde unterstützt. Meine Eltern hatten eine Zusatzversicherung und somit konnte der Schulwechsel von Frankfurt in eine Rehaklinik in Bremen finanziert werden. Dort hatte ich eine kindgerechte Unterstützung erhalten. Bei meinem Mathelehrer hatte ich allerdings das Gefühl, dass er keine Lust hatte, mich zu unterstützen..."
Stefanie Kampe: "Durch die vielen Tabletten, die ich vorbeugend gegen epileptische Anfälle erhielt, war ich als Kind und Jugendliche aggressiv. Trotzdem hat meine Familie immer zu mir gehalten. Später, als Jugendliche haben mir meine Freunde sehr gut getan und geholfen".
Text: Ulrich Jaeger (Ehrenamtlicher Betreuer)
© Tagungsband zum 12. Nachsorgekongress
A. Ebert, H. Lüngen, P. Reuther (Hrsg.)
Reihe Zentrales Nervensystem, Bd. 12
Hippocampus Verlag, Bad Honnef 2018
108 Seiten, zahlreiche Abbildungen, br.,
€ 19,80, ISBN 78-3-944551-35-7