Schädelhirnverletzte Menschen und ihre beruflichen Perspektiven

Über ihre berufliche Integration im zweiten Leben nach einer #Schädelhirnverletzung# berichteten Menschen, die nach einer erworbenen Hirnverletzung wieder am Erwerbsleben teilhaben. Einfühlsam moderiert von Herrn Marcel Bergmann (Autor und Sportredakteur beim ZDF, Botschafter der ZNS - Hannelore Kohl Stiftung für Unfallopfer mit Beeinträchtigungen) erlaubten Sylke Wiesner, Igor Mehltretter, Slavko Radovanovic und Thomas Riedel den TeilnehmerInnen des 7. Nachsorgekongresses Einblicke in Schwierigkeiten, Rückschläge, Erfolge und Ziele.

Marcel Bergmann

Nach seinem Abitur und dem Grundwehrdienst studierte Marcel Bergmann Englisch und Französisch. Nach einem Jahr als Übersetzer begann er 1991 als freier Mitarbeiter beim ZDF, seit 1992 in der Sportredaktion. Während einer Reise durch Kenia verunglückte Marcel Bergmann. Nach zwei Monaten erwachte er aus dem #Koma#. Sein Rückenmark war durchtrennt, er ist querschnittsgelähmt. Der damals 30-Jährige musste zahlreiche schwere Operationen über sich ergehen lassen, außerdem hatte er nach dem Koma Schwierigkeiten, zu sprechen, die richtigen Wörter zu finden. Nach langer Zeit der Depressionen nimmt Marcel Bergmann sein Leben im Rollstuhl in Angriff. Heute ist er Sportredakteur in Festanstellung beim ZDF. Einen großen Traum erfüllte er sich 2007 mit einer Reise nach China. „Trotzdem China“ erzählt, wie aus einer als Rettungsanker dienenden Idee ein einzigartiges Abenteuer im Reich der Mitte wurde.

Thomas Riedel

Thomas Riedel verunfallte 1997 mit dem Auto auf dem Weg zum Dienst. Er stand zwei Monate vor seiner Facharzt-Prüfung zum Kinderchirurgen. Mit der Diagnose eines sog. Polytraumas wurde er ca. 4 Wochen beatmet. In Folge seiner Verletzung erlitt er annähernd die gesamte Palette von Problemen schwer Hirnverletzter: Verlust des Gleichgewichtes, Verlust des Geschmacksempfindung, Wortfindungsprobleme, Verlust der geteilten #Aufmerksamkeit#, Sensibilitätsausfälle, posttraumatisches hirnorganisches #Psychosyndrom#, dazu div. andere Verletzungen abdominell, pulmonal, knöchern etc..

Der Versuch eine Neurorehabilitation bzw. allgemeine #Rehabilitation# einzuleiten, wurde von den behandelnden Ärzten nicht erwogen. Thomas Riedel verdankt es der Initiative seiner Frau, dass ambulante Rehabilitationsmaßnahmen eingeleitet wurden. Ambulant, weil für ihn ein stationärer Aufenthalt außerordentlich negativ besetzt war.

In der Rehabilitation fühlte er sich menschlich und fachlich kompetent betreut. Das Rehateam begleitete ihn durch alle Höhen und Tiefen einer körperlich/geistigen und nicht zuletzt beruflichen Rehabilitation. Dazu gehört insbesondere auch die Begleitung seiner Frau und seiner beiden damals kleinen Söhne, die ihn aufgrund einer Wesensveränderung, nicht mehr als ihren Vater erkennen konnten. Auch der damalige Arbeitgeber wird einbezogen.

Die in der Reha erlernten/zurückgewonnenen Strategien der Alltagsstrukturierung, haben es Thomas Riedel ermöglicht den Facharzt zu beenden, einen sinnvollen Platz in der Arbeitswelt des Krankenhauses zu finden und sich dort zu behaupten. Und das trotz der immer wieder aufkeimenden Zweifel an den eigenen Fähigkeiten. Heute ist er in einer speziellen Position wieder in der Kinderchirurgie tätig. Darüber hinaus findet Thomas Riedel in der Reha den Mut, zu seinen künstlerischen Fähigkeiten zu stehen. Dadurch konnte er ein zweites ernsthaftes, kreatives Standbein zurückerobern. „Gerade die Unterstützung in diesen kreativen Ecken meiner Person, war ein Knackpunkt, auf dem Weg zurück zu mir selbst“, betont er die Bedeutung seiner kreativen Arbeit.

Sylke Wiesner

„Im Alter von 37 Jahren erleidet die Supermarktleiterin, Sylke Wiesner, einen Schlaganfall, Prognose: Rollstuhl und lebenslange Behinderung. Ein Jahr später sortiert sie wieder Obst. Sie hat den Kampf gewonnen“, berichtete das Sonntagsblatt Bayern im September 2011. Sylke Wiesner sagt über sich selbst, dass sie nie ihren Willen verloren hat. Sie weiß nicht, ob sie jemals wieder als Marktleiterin arbeiten kann. Aber sie ist motiviert und möchte trotz ihrer Behinderung gerne in Zukunft weitere Aufgaben und mehr Verantwortung übernehmen.

Igor Mehltretter

Igor Mehltretter ist im Alter von fast 45 Jahren vor 5 ½ Jahren beim Klettern abgestürzt. Da der Unfall bei einer von ihm geführten DAV-Tour passierte, ist die Berufsgenossenschaft als Versicherer zuständig. „Glück im Unglück“ äußert er sich selbst darüber.

Da ein Haken nicht hielt und er versäumt hatte, eine zusätzliche Sicherung zu legen fiel er 12 m in die Tiefe und zog sich eine schwere Kopfverletzung und kleinere Brüche zu. Nach drei Wochen wachte er aus dem Koma auf, über ein Jahr brauchte er, um seine Erinnerung wiederzuerlangen. Heute leidet er an einer rechtsbetonten #Spastik# ("spastische #Tetraparese# rechtsbetont") und ist deshalb auf den Rollstuhl angewiesen. Er hat beim langen Sprechen einige Schwierigkeiten. Er kann zwar verständlich sprechen, aber nicht laut.
Seine Bewegungsfähigkeit ist stark eingeschränkt, aber er ist schmerzfrei. Inzwischen arbeitet der Diplom-Ingenieur seit drei Jahren wieder in der alten Abteilung bei Siemens, heute als CAD-Konstrukteur etwa 20h/Woche und nicht mehr als Fertigungs- und Projektleiter.

Slavko Radovanovic

Slavko Radovanovic verunglückte während eines Auslandsaufenthaltes im Jahr 2000 in Süd Afrika. Er stürzte bei Montagearbeiten von einem Gerüst und fiel aus 5
m Höhe auf Asphalt. Er zog sich dabei eine schwere #Schädelhirnverletzung# zu.
Auch er erlebte aufgrund einer hirnorganischen Wesensänderung mit zeitweilig schweren aggressiven Verhaltensstörungen grundlegende familiäre Veränderungen: die Kinder wollten zeitweise keinen Kontakt zu ihm haben, die Ehe ging in die Brüche. Finanziert durch die Berufsgenossenschaft verbrachte er fünf Jahre in verschiedenen (z. T. psychiatrischen) Krankenhäusern, Pflege- und Rehaeinrichtungen. Durch die Unterstützung der Mutter und therapeutisch Interventionen in einer neuropsychologisch geleiteten Pflegeeinrichtung fand er wieder zu sich selbst.
Nach einer therapeutisch begleiteten beruflichen Wiedereingliederungsmaßnahme konnte Slavko Radovanovic wieder in den Arbeitsprozess einsteigen. Dort arbeitet er seit 2005, fünfeinhalb Jahre nach seinem Unfall, wieder halbschichtig als Elektriker. Er kümmert sich inzwischen um seine alte Mutter und hält Kontakt zu seinen Kindern. Sein altes berufliches Niveau hat er zwar nicht wieder erreichen können, aber er ist froh, dass es ihm wieder gut geht und er arbeiten kann. “Diese Tätigkeit ist bis jetzt gut bzw. besser geworden und meine Arbeitszeit bleibt halbtags bestehen (mehr ist gesundheitlich momentan nicht möglich). Ich bin zwar nur eine Hilfskraft aber die Arbeit macht mir großen Spaß und das ist auch das, was ich wollte,“ beschreibt Slavko Radovanovic seine heutige Tätigkeit.